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Grenzenlos wandern auf historischen Fluchtwegen
Das Thema Flucht als Suche nach einem Weg in eine Zukunft, ein Morgen, das nicht unbedingt ein besseres, optimierteres sein muss, ist der inhaltliche Zusammenhang/-halt der verschiedenen Wege des geplanten europäischen Weitwanderweges „Grenzenlos wandern“ oder „Fußwanderungen“ (Arbeitstitel). Leider ist der Begriff „Flucht“ mittlerweile von „den Medien“ totgeschossen und vom Leser zumeist negativ ablegt. Flüchtlinge = Problem, er/sie lösen Ängste und eine ungewollte Auseinandersetzung damit aus, die man wenn schon im Alltag hat, aber nicht in der Freizeit/Urlaub haben will.
 
Die in die Grenzenlos wandern/Fußwanderungen aufgenommenen (Flucht-)Wege verlaufen zumeist nicht einseitig, sondern bieten immer auch ein Zurück an (deshalb auch die Wegkonzeption als Rundwanderung) und lassen sich vereinfacht in vier Wellen in unterschiedlichen Richtungen zusammenfassen:
 
  1. wechselweiser Austausch Nord-Süd
Austausch von Fertigkeiten, Waren und wohl auch Menschen während der Bronzezeit u.a. am Tilsenjoch, Pfitscherjoch
  1. Süd-Nord Erschließung
Römischer Wegebau über die niedrigsten Alpenpässe (Reschen, Brenner) zur wirtschaftlichen und militärischen Eroberung und Absicherung des Nordens: Via Romea Germanica, Via Claudia Augusta (ca. 2 Jh.n. Chr.)
  1. Nord-Süd Bewegung
ab 1800: franz. Revolution und republikanische Ideale: Weg aus der Enge der Kleinstaatlerei (Dürer, Goethe), vom Muff unter den Talaren, Aufbruch des Menschen, Weg und weg aus der Industrialierung (fremdbestimmtes Arbeiten), hin zur Sonne und antiken Idealen. Ein romantischer Aufbruch, das idealisiertes Suchen in Kunst, Kultur und Politik und der Beginn des Tourismus in den Alpen
  1. wechselweiser Austausch Nord-Süd
Ab dem 20. Jh. bis zum heutigen Tag: politische und wirtschaftliche Gründe treiben die Menschen über die Grenzen. Am Brenner treffen sich die alten Grenzbefestigungen des 1. und 2. Weltkrieges (Gossensass) mit Flüchtlingen aus Afrika und dem Nahen Osten, die sich auf Güterwagen nach Deutschland einschmuggeln.
 
Tirol ist auf dem Weg das zentrale Transitland von und nach Deutschland und Italien (Schweiz): Fragestellungen und thematische Ausformungen der einzelnen Wegabschnitte können demnach sein:
Wie lebt es sich am Rand, an der Grenze?
Was sind für uns heutige Europäer Grenzerfahrungen in der Zeit von Schengen?
Wie nehmen „Fremde“ unsere Grenzen wahr?
Gibt es eine positive Aufnahme von Fremden, ein Entgegenkommen, eine neues Miteinander?
 
Die Geschichte der Flucht ist zumeist maskulin geprägt: Die Männer gehen weg, die Frauen bleiben. Doch es gibt wenige Ausnahmen von selbstbestimmten Frauen, wie den Romantikerinnen Angelika Kaufmann und Mary Shelley oder die Wilderin Elisabeth Lackner. Das Bild der zurückgebliebenen Frau war aus der Außensicht der Besucher ein idealisertes: die „freie“ Sennerin. So sind auch in der darstellenden Kunst diese Frauen göttinengleich dargestellt – weit weg von deren realen Lebenssituation. Die Thematisierung der in allen Alpenregionen verbreiteten martiarchaischen saligen Fräulein, beginnt erst mit der Neurezeption der „Geierwally“ und ihrem realen Vorbild der Tirolerin Anna Steiner-Knittel einzusetzen. Auch mit der neuen Ausstellung „Wanderlust“ in der Nationalgalerie Berlin (2018) hat sich an der Ausgangslage nichts geändert.
 
Im Folgenden wird ein vorläufiger Wegverlauf skizziert, der die hier vorgestellten Wege, seine Protagonisten, ihre Geschichten einbindet und die dahinter liegenden Grundkonzeption wiederzugeben versucht. Nach vielen Jahren bin ich diese Wege nun erneut gegangen, um eine aktuelle Einschätzung der möglichen Schwierigkeiten des Wegverlaufs und die sich vielleicht im Laufe der Zeit veränderten Eindrücke weitergeben zu können. Die ersten Etappen des Weitwanderweges Grenzenlos wandern habe ich zur Einstimmung auf den Weg deshalb hier eingestellt.